Essay von Alexandra Orth

Wenn man im 21. Jahrhundert Maler wird, hat man ein Problem: Alles war schon mal da. Die Kollegen haben über Jahrhunderte das Potential der Leinwand ausgeschöpft. Sie haben Sichtbares und Unsichtbares gleichermaßen anschaulich gemacht. Natur, Mensch und Kultur akribisch studiert, seziert, kopiert, perfektioniert – von außen wie von innen. Sie haben die Malerei zu ihrem Ende geführt und neu begonnen. Begeistert und schockiert oder – fast noch skandalöser – nichts gemalt. Christian Hoffmann versucht in seinen Bildern verschiedene Ausdrucksformen der Malerei zusammenzuführen. Merkmale des Realismus, Kubismus, der Konkreten Kunst, des Abstrakten Expressionismus und Surrealismus überlagern sich in seinen collagenhaften Arbeiten zu einem, formal wie semantisch, vielschichtigem Werk.

Harter Materialabrieb, Christian Hoffmanns bisher monumentalste Komposition, bringt diese Arbeitsweise buchstäblich auf den Punkt. Divergierende Techniken reiben sich hier aneinander: Zeichnerische Elemente an malerischen, realistische Akkuratesse an haltlosem Dripping, pastoses Monochrom an gestischer Exzentrik – Akademisches an Subkultur. Lage um Lage schichtet Christian Hoffmann diese harten Stilbrüche zu einer kompositorischen Einheit. Er deckt die minutiöse Feinarbeit einer Zeichnung mit einem einzigen Farbhieb ab oder bekritzelt und besprayt die entrückende Stille der Farbfelder mit kryptischen Tags. Die Leinwand wird auf diese Weise zu einer semitransparenten Oberfläche, die den Blick auf unterschiedliche Materialebenen, Arbeitsphasen und Stilepochen des Bildes freigibt. Aus Verbergen und Durchblicken entsteht ein Reliefeffekt, der charakteristisch für Christian Hoffmanns Malerei ist.

Der harte Materialabrieb ist sinnbildlich für den Prozess, dem der Maler das Werk in wochenlanger, rigoroser Überarbeitung unterzieht. Christian Hoffmann dreht, beschneidet, gruppiert und übermalt die sechs Leinwandteile bis zur Unkenntlichkeit des ursprünglichen Motivs. In einem Malakt aus Intuition und Kalkül versucht er, einen Einklang zwischen den Stilen, zwischen Linie und Fläche, den knalligen Primärkontrasten und gedämpften Grau- und Brauntönen zu erzeugen. Denn aus jeder Zerstörung ergibt sich ein neuer innerbildlicher Bezug.

Der menschliche Körper, wie er in Harter Materialabrieb als realistische, anatomische und expressive Darstellung vorkommt, ist daher ein immer wiederkehrendes Motiv in Christian Hoffmanns Werken. Ihn interessiert, wie der Mensch sich an seiner eigenen Existenz abarbeitet. Die mal heroischen, mal verzerrten oder aufgelösten Gestalten demonstrieren seine wechselhafte Selbstwahrnehmung im Wandel von Erkenntnis und Geschichte – und ihren bildlichen Niederschlag in den Epochen der Kunst.

Hier wird das Stilchaos, das Christian Hoffmanns Leinwände überzieht, inhaltlich rund. Seine eklektizistischen Kompositionen zeigen nicht nur ein opulentes Potpourri kunsthistorischer Ausdrucksformen, sondern auch eine ideengeschichtliche Hinterlassenschaft. Damit trifft er sowohl den Nerv der vorangegangenen Generationen, als auch der eigenen Zeit. Denn Christian Hoffmann sieht seine Aufgabe als Maler des 21. Jahrhunderts darin, die Einflüsse aufzudecken, zu verknüpfen und zu hinterfragen, die die Basis des heutigen Kunst- und Kulturverständnisses bilden. Heimlich greift von links unten die Künstlerhand ins Bild, als ob sie die Eindrücke sortieren will, und schafft auf diese Weise eine Malerei über Malerei.